Maria Christine Holter charakterisierte in ihrer Eröffnungsrede im Kunstverein Mistelbach, November 2019, die Werkserie „Flow down“ folgendermassen:
„Gleich im Raum nach den Interferenzen sehen wir Bildfindungen mit dem Serientiteln Flow down oder Trail, die ebenfalls auf der Linie basieren. Es sind Linienführungen mit weißem Acryllack auf aufgespannten Polyesterstoffen. Dabei wird die dünnflüssige Farbe von der Bildkante her im freien Flow, also durch die bloße Gravitation gelenkt, von Höller aufgetragen. Das Bildformat wird vor jeder Liniensetzung gedreht und die Farbdüse an einer neuen Stelle an Rand angesetzt. Die einzelnen Linien verbinden sich punktuell in sichtbaren Knötchen, fließen weiter, verbinden sich fallweise mit Linien und lassen so ein unregelmäßiges Netz mit höchst komplexer räumlicher Wirkung auf der jeweiligen Untergrundfarbe entstehen. Sie sehen schon, wir haben es bei Höller mit ausgetüftelten Prozessen zu tun, die weit über die Grenzen des Mediums hinausgehen und nur durch jahre- ,ja jahrzehntelange Erfahrung zu solch‘ feinen Resultaten führen.“
Ausstellungsansicht: Kunstverein Mistelbach, 2019
Support 01, 2016, Acryl auf Lederimitat, 130 x 130 cm
Silvie Aigner: Katalogtext für „Das Konzept der Linie“ (NoeArt 2018)
Das Werk von Barbara Höller bewegt sich im Spannungsfeld der Malerei zwischen Objekthaftigkeit und Zweidimensionalität und der Fragestellung nach dem Materialcharakter der Farbe. Die Linie ist dabei Hauptakteur der Bildkonzeption- selbst dort, wo Barbara Höller die Farbe in den Raum entwickelt. Sie ermöglicht ihr, eine Struktur herzustellen – „die von den Linien selbst vorgegeben wird“.
Die Linienstruktur der Bilder scheint auf den ersten Blick jedoch kaum frei erfunden, sondern einem genauen System zu folgen, und kalkuliert über die große Leinwand gezogen zu sein. Doch spielen der Zufall und das Eigenleben der Farbe eine zentrale Rolle. Trotz festgelegter Parameter ist das Ergebnis für die Künstlerin nicht bis ins Detail vorhersehbar. Struktur und Zufall – ein Oxymoron, oder eine Möglichkeit sich die materiellen Eigenschaften von Farbe und Material zunutze zu machen?
Trail 01, 2016, Acryllack auf Polyamid, 70 x 70 cm
Der Aufbau von Barbara Höllers Bildern folgt einem Bemühen um Systematisierung durch das Festsetzen von Spielregeln vor dem Malprozess – verbunden mit einer umfassenden Recherche über Farbe und Material. Diese steht immer am Beginn einer neuen Werkserie. Höller experimentiert dabei solange, bis sie zu einer Lösung der Problemstellung kommt bzw. ihr das Material die Möglichkeit gibt, die Werkserie zu beginnen und die an sich und das Bild gestellte vorgegebene Konzeption systematisch und analytisch zu erarbeiten. Barbara Höller schafft sozusagen die Rahmenbedingungen, unter denen sich die Farbe in ihrem Verlauf entwickeln kann.
In den ausgestellten Arbeiten wurde anstelle der Leinwand ein Kunststoff aus der Textilindustrie verwendet, der bei Anoraks und Funktionsbekleidung zum Einsatz kommt. Er wird zum farbigen Bildgrund, auf dem die Linie sich entfaltet.
Der Bildrand wird in einem zuvor festgelegtem Abstand von circa fünf Zentimetern mit einem Punkt markiert. Einmal mehr wird ein Punkt zu Beginn einer Linie, die sich – geleitet durch das Gesetz der Schwerkraft – über das Bild zieht. Am Punkt setzt die Künstlerin die Farbspritze an und trägt die Farbe auf. Das heißt, die vermeintlich gerade – wie mit dem Lineal gezogene – Linie ist eigentlich ein freies Rinnen, ohne vorgegebene Bahn. Dass die Linie jedoch so gerade rinnt, nicht mäandert, ist ihrer Konsistenz geschuldet, die zuvor von der Künstlerin empirisch entwickelt wurde.
Und dennoch sind in dem Bild viele Zufälle verborgen. So trifft die Linie auf dem Bildträger auf bereits gezogene Strukturen und folgt für einige Zentimeter ihrem Verlauf, bis sie sich wieder ihren eigenen Weg bahnt. So erscheint der Ablauf bis ins Detail durchdacht und schließt dennoch das Unbekannte mit ein, „in dem Strukturen sich selbst generieren“, so Barbara Höller.
Denn nach Beginn des Kunstwerks hält sich die Künstlerin an die von ihr vorgegebenen Spielregeln, und so ist der Farbverlauf allein durch diese bestimmt und von ihr nicht mehr beeinflussbar. Der Formwille der Künstlerin, ihr Duktus beziehungsweise ihr Eingreifen in den Schaffensprozess tritt hier klar hinter die Eigendynamik des Bildes.
„Wenn man so will, sind Farbe und Gravitation meine Assistenten.“ Innerhalb der Werkgruppe dominiert zunächst ein dichtes Liniengewirr, das die Künstlerin in weiteren Verlauf reduziert, nur noch einige wenige Linien über den Bildträger zieht und damit einmal mehr die vielen Möglichkeiten, mittels einer Linie Raum zu generieren, anschaulich macht.
So entsteht selbst mit wenigen Linien ein Raum auf der Leinwand, im Spiel zwischen leerer Fläche und Struktur.
Flow down, 2017, Acryllack auf Polyester, 1650 x 150 cm
WIE KOMMEN DIE LINIEN IN DAS BILD?
Der Keilrahmen wird NICHT waagrecht an die Wand montiert.
Acryllack wird mittels einer Düse an die obere Kante gesetzt, so dass sie senkrecht nach unten rinnt.
Die Farbe rinnt der Schwerkraft gemäß nach unten.
Das Zusammenspiel zwischen einem glatten Stoff (Polyesterstoff) und einer speziellen Konsistenz der Farbe ermöglicht es, daß eine gerade Linie entsteht.
Nach dem Trocknen wird der bespannte Keilrahmen wieder in einem anderen Winkel befestigt.
An einer anderen Kante des Bildes wird Farbe zum Rinnen gebracht.
Diese rinnt senkrecht hinunter.
Falls die rinnende Farbe einen schon getrockneten Strich erreicht, läuft sie eine Zeitlang mit der alten Farbe, bevor die Schwerkraft sie wieder nach unten zieht.
2017 Dripping Process
Ausstellungsansicht: Universitätsbibliothek Bochum, 2018
Die Homepage der Künstlerin: www.barbarahoeller.at
Beitragsbild: Support 02, 2016, Acryl auf Lederimitat, 130 x 130 cm
Beiträge über die Künstlerin auf unserem Blog und eine Rückschau auf die Einzelausstellung, 2019:
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