In der Werkgruppe „Recall“ (2019) kommt das modulare System, das die Künstlerin seit vielen Jahren als einen wesentlichen Bestandteil ihrer Kunstauffassung verwendet, in erweiterter Form einmal mehr zur Anwendung. Anspruch und Ziel sind hierbei, das Publikum gleichsam partizipativ in den künstlerischen Prozess einzubeziehen, indem es die einzelnen Module gedanklich austauschen soll und somit das Kunstwerk in gewisser Weise als modifizierbar erkennt. Inhaltlich bezieht sich diese Werkreihe auf die Fähigkeit zu erinnern und kritisch zu reflektieren: Es ist zumutbar und nötig, Dinge, Situationen, Faktenlagen oder Sachverhalte stets differenziert zu betrachten. Erst durch das Beleuchten verschiedener Seiten und Ansichten wird deutlich, dass ein Schwarz-Weiß-Denken der Wahrheitsfindung nicht dienlich ist. Die zweiteiligen quadratischen Werke dieser Serie sind folglich so konzipiert, dass deren einzelne hochformatige Bildtafeln in der Reihenfolge verändert positioniert werden können. Trotz des Austausches von links nach rechts oder von rechts nach links finden die in unterschiedlichen Winkeln angelegten schmalen Rauten und Linien zueinander.
Als thematische Schwerpunkte finden sich bei der Künstlerin immer wieder die menschliche Perzeption, Bewegung, Raum, Offenheit und Uneindeutigkeit. Im Bewusstsein der Verwendung verschiedener modularer Methoden stellt sich beim Betrachten von Höllers Arbeiten eigentlich fast automatisch das Bedürfnis ein, die einzelnen Teile der Kunstwerke gedanklich neu zu ordnen und miteinander zu verknüpfen. Dieses Phänomen wird weithin mit „mentaler Rotation“ bezeichnet, ein Begriff aus der experimentellen Psychologie, der die Fähigkeit umschreibt, zwei- oder dreidimensionale Objekte wahrzunehmen, zu erkennen, im Geiste (mental) zu drehen und in anderer Konstellation zueinander in Beziehung zu setzen. Allein durch den Kunstgriff des gedanklichen Neuarrangierens gelingt Höller eine Dynamisierung und Rythmisierung von Bewegung im Raum. Wir organisieren uns gedanklich einen zeitlichen Bewegungsprozess: Welchen Teil der Arbeit kann ich wie positionieren, damit bei der geänderten Zusammenfügung die definierten Schnittstellen als Gesamtbild wieder problemlos interagieren?
Text: Hartwig Knack
Human perception, motion, space, openness and ambiguity are themes are repeatedly found in the artist’s work. Knowing that various modular methods are being used, it is almost automatic that that the viewer feels a need to mentally re-position or re-order the individual parts of the artworks. This phenomenon is generally known as “mental rotation”, a term borrowed from experimental psychology. It refers to the ability to perceive two- or three-dimensional objects and to (mentally) turn them and/or to set them in new constellations. On its own, this device of mental rearrangement is enough for Höller to be able to give space a dynamic and a rhythm. In our minds we organise our thoughts as a chronological process of movement: which part of the work can I reposition and where such that the alteration of the composition still allows the pre-defined interface elements to meet without problems in the (new) overall picture?
(Text: Hartwig Knack)
Der Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit ist für Barbara Höller die Frage: Was kann Malerei sein? Dabei ist nicht die Gegenständlichkeit, sondern die systematische Auseinandersetzung mit den Mitteln der Malerei, der Bildträger und die aufgetragene Farbe gemeint, die die Künstlern – ausgehend von ihrem persönlichem Wissen und Möglichkeiten – erforscht und experimentell erarbeitet. Es sind lange analytische und konzeptuelle Prozesse, wobei sie immer wieder einen Aspekt heraus greift, weiterentwickelt und ihn seriell künstlerisch umsetzt. Das Ziel ist nicht die ästhetische Erscheinung, sondern das Endprodukt ist das Ergebnis eines langen Werdens und Experimentierens.
The starting point of her artistic work is for Barbara Höller the question: What can painting be? This does not mean the representational, but the systematic examination of the means of painting, the image carrier and the applied color, which the artists – based on their personal knowledge and possibilities – explores and experimentally elaborates. These are long analytical and conceptual processes, whereby she always picks out one aspect, develops it further and implements it serially artistically. The goal is not the aesthetic appearance, but the final product is the result of a long process of becoming and experimenting.
(Text: Gabriele Baumgartner)
Fotocredits: Bettina Frenzel
Homepage: www.barbarahoeller.at
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