Wir freuen uns die Ausstellung von Julia Dorninger „Orte verstehen | Understanding places“ im Rahmen des internationalen Festivals für Zeichnung „The Big Draw“ zeigen zu dürfen.
Julia Dorninger: Aus der Serie Where the children sleep, Hänsel und Gretel, 2021, Aquarell, Tusche, Bleistift auf Papier, 70 x 100 cm | series Where the children sleep, Hansel and Gretel, 2021, watercolor, ink, pencil on paper, 70 x 100 cm
c) Julia Dorninger, Bildrecht, Wien
Artist Statement
Die Auseinandersetzung mit Raumwahrnehmung und Raumaneignung ist essentielles
Grundthema meiner Arbeit, im Fokus meiner künstlerischen Forschung steht die gelebte
Wechselbeziehung zwischen Mensch und räumlicher Struktur. Über meine künstlerischen
Prozesse betrachte ich Raum nicht als etwas Starres, als eine abgeschlossene Entität, sondern
als ephemere Struktur, die über Wahrnehmungs- Erinnerungs- und Vorstellungsprozesse
hergestellt wird. Zudem betrachte ich Raum als soziales Konstrukt, als ein Resultat von
Handlungen und den damit verbundenen bzw. abhängigen ökonomischen, rechtlichen,
sozialen und kulturellen Strukturen. Funktion und Nutzung räumlicher Strukturen sind eng an
gesellschaftliche Transformationsprozesse gebunden, die wiederum Einfluss auf
Wahrnehmung und Gebrauch des Raumes haben.
Der Titel der Ausstellung ‘Orte verstehen‘ referenziert auf Marc Augé. Für den französischen
Ethnologen und Anthropologen sind Orte Räume, die sich Menschen angeeignet haben und in
denen Beziehungen entstanden sind. Im Gegensatz dazu stehen Nicht-Orte, in denen sich
Menschen nicht oder noch nicht oder nicht mehr wiedererkennen.
„So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein
Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen
lässt, einen Nicht-Ort.“ (Marc Augé)
Mittels des Mediums Zeichnung untersuche ich, wie sich Wissen um das Potential eines Ortes
generieren lässt und dem Ort eingeschriebene Informationen sichtbar gemacht werden
können. In meinen zeichnerischen Prozessen erlange ich neue Sichtweisen auf räumliche
Strukturen und überraschende Erkenntnisse über deren Nutzung.
Über das Herauslösen aus dem ursprünglichen Kontext, Reduktion in der Darstellung und
Herausnehmen von Farbe möchte ich das Wesen eines Ortes erfassen und eine
atmosphärische Verdichtung des Erlebten erreichen. Der zeichnerische Prozess erfordert
hierbei nicht nur ein analytisches Verständnis für und in weiterer Folge ein Reflektieren über
die Zusammenhänge räumlicher Strukturen, sondern auch ein sinnliches Nachspüren
atmosphärischer Momente. So bedeutet Zeichnen für mich Fühlen und Denken mit dem Stift
gleichermaßen.
Mit welchen subjektiven Bedeutungen bzw. kollektiven Identitäten wird oder wurde ein Ort
versehen und welche Erinnerungen über diese dem Ort eingeschriebenen Informationen
bleiben haften? Durch meinen individuellen Strich, gleich einer Handschrift, gebe ich meinen
Beobachtungen einen subjektiven Interpretationsrahmen, ermögliche jedoch dem Betrachter
gleichzeitig Raum für Neuinterpretation.
Text: Julia Dorninger, 2021
Artist Statement
The occupation with spatial perception and spatial appropriation is an essential basic theme of
my work. The focus of my artistic research is the lived interdependence between human beings
and spatial structure. In the course of my artistic processes I do not consider space as something
fixed, as a closed entity, but as an ephemeral structure that is continuously produced through
processes of perception, memory and imagination. Moreover, I consider space as a social
construct, as a result of actions and the economic, legal, social and cultural structures that are
connected to or dependent on them. The function and use of spatial structures are closely tied to
processes of social transformation, which in turn influence the perception and use of space.
The title of the exhibition ‚Understanding Places‘ references Marc Augé. For the French
ethnologist and anthropologist, places are spaces that people have appropriated and in which
relationships have been formed. In contrast, non-places are spaces in which people do not
recognize themselves, or do not yet recognize themselves, or no longer recognize themselves.
„Just as a place is characterized by identity, relation, and history, a space that lacks identity and
cannot be described as either relational or historical defines a non-place.“ (Marc Augé)
Through the medium of drawing, I investigate how knowledge about the potential of a place can
be generated and how information inscribed in this place can be made visible. By means of my
drawing processes I gain new perspectives on spatial structures and surprising insights into their
use.
By dissolving places out of their original context, reducing their presentation and removing their
color, I want to capture the essence of a place and achieve an atmospheric condensation of the
experience with it. The drawing process does not only require an analytical understanding of
spatial structures and subsequently a reflection on their interrelations, but also a sensual tracing
of atmospheric moments. Thus, for me, drawing means feeling and thinking with the pencil in
equal measure.
Which subjective meanings or collective identities pertain to a place and which memories about
provisions inscribed in a place remain? By my individual stroke, like a hand writing, I provide for
my observations a subjective frame of interpretation, but at the same time allow the viewer
space for reinterpretation.
Text: Julia Dorninger, 2021
Link to The Big Draw Event: https://thebigdraw.org/event/9672
Link to Julia Dorninger: https://www.juliadorninger.com/
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