Jochen Höller im Interview mit dem ipforum

Jochen Höller im Gespräch: „Ohne Fragen gibt es keine Entwicklung“

Anlässlich seiner Ausstellung „omnia in omnibus“ hat Kuratorin Gabi Baumgartner (GB) mit Künstler Jochen Höller (JH) über seine Werke gesprochen:

GB: In deinen Arbeiten verknüpfst du die Komponenten Wissen, Worte, Sprache und Denkweisen und setzt sie in neue Kontexte. Für diese Ausstellung wurde der Titel „omnia in omnibus“ gewählt, der in seiner lateinischen Übersetzung „alles in allem“ bedeutet. Latein fungierte annähernd zwei Jahrtausende lang als die einzig verbindende Sprache der Wissenschaft, Literatur, Politik und Religion und prägte somit die intellektuelle Tradition. Mit welchen Fragen und Denkansätzen möchtest du in deinen Arbeiten den Betrachtenden zum Hinterfragen und Innehalten konkret anregen?

JH: Irgendwie hat alles mit allem zu tun. Latein ist eine tote Sprache. Es gibt keine weiter Entwicklung. Diese Sprache spielt in unserem Alltag keine Rolle. Fragen ist die Grundlage jedes Künstlers. Ohne Fragen gibt es keine Entwicklung. Aber man muss schon die richtigen Fragen stellen, sonst dreht man sich im Kreis. Letztendlich sind wir alle auf der Suche nach der einen Frage … (Die Antwort kennen wir ja bereits …).

Sprachen sind Codes. In der richtigen Kombination der 26 Buchstaben ergibt es einen Sinn. Das geht bis ins unendliche. Sehr spannend finde ich bestimmte Inhalte von Autoren zu zerlegen, um damit anderes oder neues zu schaffen. Da beziehe ich mich auf Borges (Argentinien 1899 – 1986), der mich in meinem künstlerischen Schaffen schon lange begleitet. Er beschreibt in seiner Kurzgeschichte „Die Bibliothek von Babel“ eine unendliche Bibliothek, in der alles, was geschrieben werden kann bereits existiert, und nur Neues erschaffen kann, indem man bestehendes wieder neu kombiniert!

 

Foto vom Kunstwerk Neighbourhood

Neighbourhood, 2022, Collage, Papier auf Karton, 102 x 153 cm
Fotocredit: © Simon Veres

GB: Das Einladungskartenmotiv „Neighbourhood“ ist 2022 entstanden. Welche Buchquelle und welche Überlegung liegen dieser Arbeit zugrunde?

JH: Das Universum besteht eigentlich nur aus ein paar wenigen Grundstoffen, diese genügen allerdings um eine so schöne vielfältige Welt entstehen zu lassen wie die unsere! Wir nehmen das als völlig normal an, aber alle Beobachtungen und Untersuchungen zeigen, dass unsere Erde bisher der einzige lebenswerte Planet unter den vielen Millionen anderen, ist. Die uns am nächsten gelegene Galaxie ist Andromeda, die allerdings so weit weg ist, dass wir vermutlich nie dort hinkommen werden. Unsere Galaxie, in der wir uns befinden, können wir ja nur von innen betrachten und da sehen wir nur ein Schleierband um unsere Erde. Es zeigt uns wie klein wir sind!

Für die Collage habe ich etwa 7.000 Buchstaben und Satzzeichen verwendet, die ich aus ein paar Büchern geschnitten habe. Das waren z.B: Ein paar Verse aus der Genesis („Die Bibel“ Einheitsübersetzung 2017 – 1. Mose 1 – 14.15, Einsteins Relativitätstheorie (Albert Einstein – Relativity 1961 Crown Publishers, INC) und Eine kurze Geschichte des Universums (Gemma Lavander – Lawrence King Verlag 2022).

 

Kunstwerk Douglas Adams von Jochen Höller - ipforum

Douglas Adams, 2023, Collage, 35 x 25 cm
Fotocredit: © Jochen Höller

GB: Das Stichwort „Galaxie“ führt uns zu deinem neu entstandenen Portrait des britischen Autors Douglas Adams (1952 – 2001), der mit seinem Buch „Per Anhalter durch die Galaxie | The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ Kultstatus erreichte:

 JH: In jeder Ausstellung von mir gibt es ein Werk das wie ein Augenzwinkern zu lesen ist. In diesem Fall ist es Douglas Adams. Ich mag seinen Humor. Für das Portrait habe ich auch die Textstelle mit Deep Thought verwendet.

 

C.S. Peirce, 2022, Collage, 35 x 25 cm
Fotocredit: © Jochen Höller

GB: Charles Santiago Sanders Peirce (1839 – 1914) war ein amerikanischer Mathematiker und Philosoph, der unter dem Schlagwort: Pragmatismus (Das Handeln nach situativen Gegebenheiten, wobei das praktische Handeln über die Vernunft gestellt wird) bekannt wurde. Was fasziniert dich an seiner Persönlichkeit und seinen Ansätzen?

JH: Ich bin über die Semiotik (Bedeutung der Dinge) eher zufällig auf Peirce gestoßen. Da gibt es eine Stelle in seinem Text, wo er darüber schreibt, den Zweifel zu überwinden. Den Zweifel kennen, so denke ich, alle Künstler ziemlich gut. Der Zweifel an sich selbst, an die Idee, an die Ausführung und Darstellung usw. und das kann ziemlich zermürbend sein! Ich selbst sehe den Zweifel aber sehr positiv. Er bringt mich dazu alles immer wieder zu hinterfragen. Vielleicht ist der Zweifel so was wie eine Kontrollinstanz?
Für das Portrait habe ich dann auch den Text über den Zweifel verwendet.

 

Charles Darwin, 2023, Collage, 35 x 25 cm
Fotocredit: © Jochen Höller

GB: Charles Darwin (1809 – 1882) war ein britischer Naturforscher, der vor allem für seine Publikationen der Evolutionstheorie in die Geschichte der Forschung und des allgemeinen Bewusstseins einging. Auf diesem Gebiet ist er als Quelle der nachfolgenden Forschungen zusehen. Wie siehst du gerade in deiner Auseinandersetzung mit Wissen und Wissenschaft seine Position und seine Erkenntnisse, sodass du ein Portrait von ihm erarbeitet hast?

JH: Als Text habe ich die ersten Seiten des Kapitels Instinkt verwendet. Darwin ist einfach Darwin und steht einfach für sich selbst. Was mir allerdings nicht gefällt ist die falsche Interpretation von „der Sieg des Stärkeren“.

GB: Gerade in deinen zu einem Kreis umschlossenen Bücherskulpturen, bedeutet es auch ein sichtbares Zeichen als ein status quo des Wissens. Wieso hast du für diese neue Skulptur Ausgaben des Brockhauses gewählt und worin liegt für dich der Reiz und die Aussagekraft, deine Skulpturen in dieser Ästhetik zu gestalten? Um auch hier im lateinischen Ausdruck zu bleiben: Quo vadis?

JH: Lexika werden seit ein paar Jahren nicht mehr in Buchform herausgegeben. Dieses langsame träge Medium Buch kann mit der Wissens-Akkumulierung unserer Zeit nicht mehr mithalten. Dieser 32-bändige Brockhaus aus den späten 80ern stellt einen Moment des Wissens dar und wird nicht mehr erweitert, ergänzt oder korrigiert. Früher zierte jedes gute Bücherregal ein Lexikon, dass meist nie verwendet wurde. Der Kreis ist nun geschlossen.

GB: Darf ich auch nach deiner technischen Vorgehensweise und vor allem auch nach dem Moment der Konzeption der Arbeiten fragen? Um es plakativer auszudrücken: Zuerst das Buch und dann der Gedanke an ein Kunstwerk oder zuerst die innere Konzeption und anschließend die Verwirklichung?

JH: Das ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Bei mir geht es aber in beide Richtungen. Manchmal ist zuerst die Idee da und ich suche danach einen Text dafür oder eben genau umgekehrt. Im Großen und Ganzen ist es aber ein Prozess, der vermutlich gestartet wurde als ich mich mit 14 Jahren dazu entschloss Künstler zu werden. Dieser Prozess endet wenn ich aufhöre Kunst zu machen, und das ist vermutlich erst wenn ich sterbe.

 

Marilyn, 2014, Collage, Papier auf Karton, 126 x 150 cm
Fotocredit: © Simon Veres

GB: Deine Arbeit Marilyn ist nicht nur ein ästhetisches Portrait von Marilyn Monroe (1926-1962). Den meisten Menschen ist nicht bewußt, dass sie auch eine hochintellektuelle Leserin und mit dem Dramaturg Arthur Miller verheiratet war. Er schrieb auch das Drehbuch für den Film Misfits-Nicht gesellschaftsfähig. Öffentlich wurde sie immer als ein Sexsymbol und ein Dummchen abgestempelt und kaum einer kannte ihre intelligente Seite oder nahm sie als Schauspielerin ernst.
Dein Portrait referiert aber auch auf die schon ikonenhafte Darstellungen von Andy Warhol, die zu den bekanntesten Kunstwerken der Welt zählen. Aber eigentlich war Marilyn Monroe ein zutiefst mißverstandener Mensch, die immer noch – auch so lange nach ihrem Tod – für etwas geliebt wird, was sie aber nie sein wollte. Welche Ansätze waren dir wichtig und weshalb entstand dieses – und ein silberfarbenes, zweites – Portrait dieser weiblichen Ikone?

JH: Es gibt vermutlich nur 2-3 Bilder von Monroe die jeder kennt. Eines davon ist Warhols Siebdruck Serie. Es gibt davon 10 verschiedene Farbkombinationen. Ich fand es passend, den Text von Miller mit Ihr zu verweben. Einerseits weil Sie mit Miller verheiratet war, wurden aber wieder geschieden, und andererseits weil Sie genau mit den damals gängigen Konventionen gebrochen hat, die im Buch beschrieben werden. Und natürlich wurde sie auch missverstanden, genau wie die ganze Welt voll von Missverständnissen ist! Viele Mythen und Geschichten bilden sich um berühmte Menschen die ikonisiert werden, aber leider verschwinden dabei oft die Wahrheit und Realität.