In diesem investigativen fortlaufenden Projekt hinterfrage ich die Auswirkungen der Medien auf unsere Wahrnehmung und unsere Emotionen. Die Bilderflut der Gegenwart gibt eine sehr schnelle Rezeption vor, und Bildinhalte können in Sekunden digital verändert werden. Der Betrachter wird durch starke Signale, durch visuell einfach erfassbare, plakative, farbige Bilder eingefangen, wobei diese spezifisch ausgerichteten Informationen keine Reflexionsangebote und -möglichkeiten bieten. Der Mediennutzer wird mit gezielten Botschaften konditioniert. Doch gerade durch diese Konditionierung kann der Konsument beginnen, sich emotional zu distanzieren, was aber die Gefahr nach sich zieht, Erlebtes, Gesehenes und Konsumiertes nicht mehr verarbeiten zu können, sodass es aufgrund der Überinformation zu einer Desensibilisierung kommen kann.
Wie stark muss ein Bild sein, damit es uns noch berührt?
Den Ausgangspunkt meiner Arbeiten bilden immer Portraitbilder, von Katastrophen, Kriegen oder Krisen betroffene Menschen, die ich im Internet bzw. in Tageszeitungen finde. Diese Bilder zielen darauf ab, bestimmte Emotionen im Betrachter auszulösen, meist mit manipulativen Absichten. Weinende Kinder, erschöpfte Flüchtlinge, trauernde Mütter – Portraits, die individuelles Leid zeigen und zumeist das gesamte Ereignis symbolisieren. Oft vervollständigen wir solche mediale Bilder auch mit unseren eigenen Erfahrungen, übertragen sie in unsere eigenen Lebenswirklichkeiten und überlagern sie mit unseren Emotionen. Doch was passiert im Zuge dieser Dekontextualisierung?
In meinen Arbeiten hinterfrage ich diese Bildbotschaften. Mit dem Herausschälen aus dem medialen Kontext versuche ich, eingelernte Wahrnehmungsmuster und etablierte Kommunikationsprozesse zu durchbrechen. Ich hinterfrage, ob und in welcher Form solche Bilder gezeigt werden sollten und was sie bewirken. Die medialen Bilder übersetze ich in meine eigene Bildsprache, um medienkritische Reflexionsprozesse zu evozieren. Über Abstraktion, Reduktion auf das Wesentliche, Distanz und ästhetisches Moment möchte ich die Bilder von ihrer Eindeutigkeit befreien bzw. mit neuen Bedeutungen aufladen.
In einem zweiten Schritt transponiere ich die zuvor entstandenen Arbeiten in meinen eigenen Lebensalltag. Dabei spielen der Zeitfaktor und der Kontext der Erlebnisse und Emotionen eine wesentliche Rolle. Über den Einsatz verschiedener Medien und deren Schichtung versuche ich, Zeit- und Wahrnehmungsräume aufzuheben. Zwei voneinander unabhängige Ereignisse werden in eine neue Beziehung zueinander gesetzt, Wahrnehmungsebenen überlagert und Zeitpunkte verwoben.
Ich setze die entstandenen Arbeiten auch zu meinem eigenen Portrait in Bezug. Was macht das mit mir? Wie stark berührt mich das noch? Im Arbeitsprozess fange ich an, eine emotionale Nähe zu eigentlich fremden Menschen aufzubauen, gleichzeitig hinterfrage ich diese. Über das Herauslösen aus dem medialen Kontext und das Projizieren auf meinen persönlichen Lebensalltag entsteht eine emotionale Nähe, und dann wiederum auch eine Unnahbarkeit, die verstört.
Dialogues ist für mich eine sehr intime Abrechnung, einerseits mit meinem persönlichen Verhältnis zu den fremden Portraits, andererseits mit meinem eigenen Werk.
Julia Dorninger, 2019
Dialogues
In den Medienberichten der letzten Jahre kursieren – auch aufgrund der Tragweite des Internets – eine große Anzahl an Portraits von Opfern von Gewalt und Katastrophen, die Julia Dorninger hinsichtlich ihres Kredos: „Wie stark muss ein Bild sein, damit es uns noch berührt? “analysiert und sammelt. Den Portraitfotos entnimmt sie jegliche Farbigkeit, abstrahiert und reduziert die Konturen auf das Wesentliche und überträgt diese mit Acryllack auf durchsichtige PVC-Folie. Die Künstlerin hebt die Darstellung der Opfer in eine andere Dimension, indem sie die Möglichkeit zur Identifikation verringert und das Portrait so zu einem Gesicht zeitloser Erscheinung stilisiert. Die Wahl von Folien als Trägermaterial unterstreicht die Zartheit und Zerbrechlichkeit des Bildes eines Getöteten oder Leidenden.
In Serien wie “ Where children sleep “ setzt sie sich intensiv mit der Flüchtlingswelle, die ab 2015 nach Europa rollte und die durch menschliche Tragödien geprägt war, auseinander. Bilder von Kindern, die schutzlos auf Straßen, Stränden und in Wäldern übernachten müssen, werden von der Künstlerin den Medien entnommen und auf ihre Weise einprägsam und nachhaltig manifestiert. Zuvor hatte sie sich bereits intensiv mit den Gesichtern der Opfer des Tsunamis 2004 und der Hungersnot in Afrika 2011 künstlerisch auseinandergesetzt und das menschliche Elend bildnerisch konserviert, damit es nicht vergessen wird, wenn wir bereits die Bilder der nächsten Katastrophen, oft abgestumpft und teilnahmslos, sehen.
Mit der Serie Dialogues greift sie diese Werkserien nochmals auf und erweitert sie um die Dimension ihrer eigenen Person. So etwa portraitiert sie sich selbst nackt und überlagert ihr Portrait Gesicht auf Gesicht mit den Bildern der Opfer des Tsunamis. Die Schutzlosigkeit und die auf das Wesentliche reduzierte Darstellung in Verbindung mit den in den Medien oft auf eine unpersönliche und voyeuristische Abbildung reduzierten Opfer werden so zu einer Stellungnahme über persönliche Wahrnehmung und einem Transfer in die Zeitlosigkeit.
Die Komplexität der Aufarbeitung mit einer Verankerung in der Gegenwart wird besonders bewusst, wenn die Künstlerin ältere Selbstportraits, auf der sie verfremdet mit weißer Perücke zu sehen ist, mit Folienbildern der Tsunamiopfer in Verbindung bringt und diese beiden vergangenen Ereignisse in einer aktuellen Serie nochmals kombiniert. Mit dem Wiederaufgreifen hinterfragt sie dabei ihre eigenen Gefühle gegenüber den Portraits wie auch gegenüber den daraus entstandenen Werken. Es ist ein Erforschen eines Status quo persönlicher Wahrnehmung menschlicher Tragödien, deren Vergangenheit und Bedeutung in der heutigen Zeit.
Gabriele Baumgartner, 2019
www.juliadorninger.com
Artist Statement
In this explorative advancing project, I question the impact of the media on our perceptions and emotions. The present flood of images purports a very fast way of reception, moreover the content of images can be digitally changed within seconds. Strong signals, visually simple, eye-catching, colored images captivate the viewer, but this specifically oriented information does not offer any opportunities for a reflection or possibilities to this. The media user is subject to targeted messages. However, it is precisely through this conditioning that the consumer can begin to distance himself emotionally, which then implies the danger of being unable to process what one has experienced, seen and consumed. This way over-information can lead to a kind of desensitization.
How strong must a picture be, so that it still touches us?
The starting point of my work are always portraits of people affected by disasters, wars or crises, which I find on the Internet or in newspapers. These images aim at triggering certain emotions in the viewer, mostly with manipulative intentions. Crying children, exhausted refugees, mourning mothers – portraits showing individual suffering, mostly symbolic of the entire event. We often complete such medial images with our own experiences, translating them into our own realities of life and superimposing them on our emotions. Yet, what happens in the course of this decontextualizing?
In my work, I question these picture messages. By peeling them out of their medial context, I try to break through learned patterns of perception and established communication processes. I question whether and in what form one should represent such images and what they will effect. I translate the media images into my own visual language in order to evoke media-critical reflection processes. By abstractions, reduction to the essentials, distance and aesthetic moments I would like to liberate the pictures from their uniqueness or to load them with new meanings.
In a second step, I transpose the previously created work into my own everyday life. In doing so the time factor and the context of the experiences and emotions play an essential role. By using various media and their specific layers, I try to cancel time and perception spaces. Two independent events are related to each other in a new way, levels of perception are superimposed and instants of time interwoven.
I also relate the resulting work to my own portrait. What does my work do to me? How much does it affect me? In the course of the work procedure I begin to build an emotional closeness to actually strangers and at the same time I question this nearness. By dissolving the medial context and projecting images onto my everyday life, there arises an emotional closeness and then again a disturbing aloofness.
Dialogues is for me a very intimate reckoning, on the one hand with my personal relationship to the foreign portraits, on the other hand with my own work.
Julia Dorninger, 2019
In the media reports of recent years, also due to the importance of the Internet, are circulating a large number of portraits of victims of violence and disasters. Julia Dorninger collects and analyses such portraits with regard to her credo: „How strong must a picture be, so that it still touches us?”. She removes all colour from the portrait photographs, abstracts from the shapes, reduces them to their essentials and then transfers them with acrylic paint to transparent PVC – film. She uplifts the display of victims into another dimension by reducing possibilities of identification and stylising the portraits into a vision of timeless appearance. Film as support material emphasizes the tenderness and fragility of the images of the killed or suffering persons.
In series such as „Where children sleep „, she deals extensively with the wave of refugees, which rolled from 2015 to Europe and which was marked by human tragedies. She collects from the media pictures of children who have to spend the night on streets, beaches and in forests without any protection and manifests her impressions from these images in her own sustainable memorable way. Before this she had already dealt intensively with portraits of the victims of the 2004 tsunami and the 2011 famine in Africa, this way artistically preserving human misery so that it will not be forgotten when we are confronted with the images of next catastrophes, often perceived dull and impassively.
With Dialogues she revisits these series of works and extends them including her own person. For example, she portrays herself naked and superimposes her portrait face above face with the pictures of the victims of the tsunami. In view of an often impersonal and voyeuristic presentation of victims rendered by the media, this way the displayed defenselessness and a reduction to elementary shapes becomes a statement about personal perception and transfer to timelessness.
The complexity of the artist’s work with connecting the past to the present becomes particularly conscious when she associates older self-portraits, where we see her alienated by a white wig, with film images of tsunami victims and combines these two past events in a new series. By revisiting former sites she questions her own feelings about the portraits as well as about the resulting works. It is an exploration of a status quo of personal perceptions of human tragedies, their past and significance for the present.
Gabriele Baumgartner, 2019