Katya Dimova: 1000 Stoffmurmeln | 1,000 fabric marbles

2012, Tokio.
Die Uni ging von Montag bis Samstag. Ich fuhr dorthin mit dem Rad gegen 9:00 und kam erst am Abend zurück. Teilweise machte es mich müde bewundert zu werden, wegen meinen hellen Haaren und Augen. Es hat sich herumgesprochen, dass eine Auslandstudenten angekommen war, so kamen Leute aus anderen Klassen um mich zu sehen.
Sonntags, war ich anfangs immer alleine und auf der Suche nach unbekannten Orten, Ausstellungen, Tempeln, schönen Blüten oder ganz ohne Richtung und Ziel. Damals verbrachte ich viel Zeit alleine.
Nach Kamakura kam ich oft während meines Aufenthaltes. Ich mochte die Ruhe der Gärten mancher Tempelanlagen, die Veränderungen in der Vegetation während der Jahreszeiten und das Rauschen des Meeres, das mich an meiner Heimatstadt erinnerte.
Ich wanderte durch den Wald, wo wenig Touristen unterwegs waren um die Ruhe zu genießen.
Die Neugier brachte mich auf unbekannte Wege. Irgendwann wusste ich nicht mehr wo ich bin und hatte kein Internet und Stadtplan.
Die Sonne ging langsam ihren Weg nach Westen. Die Angst vor der Dunkelheit und Ungewissheit steigerte sich in mir.
Auf dem Weg zurück in die Stadt, sah ich das Schriftzeichen für eine Tempel. Als hätte mich dieser Ort zu sich gezogen und musste trotz der Nervosität kurz reingehen. Ein enger Tunnel führte mich in die Tempelanlage.
Die Räume dieses Tempels waren in den Felsen gemeisselt. Es war kühl und feucht. Niemand war hier. Ich konnte das Geräusch des Baches hören, der irgendwie durchlief. Einer der Räume war offen. Ich musste mich bücken um reinzukommen. Von oben hingen Girlande mit Tausenden von Kranichen, die in einander gestapelt waren.

In dieser hektischen Stadt hat jemand so viel Zeit in etwas „Sinnloses“ investiert. Tokio hat mich mit seinen Kontrasten für meine ganze Aufenthalt dort sehr fasziniert. Die Girlande hingen schwer wie bunte Wasserfälle, ganz dicht an einander, so dass sich alleine, in dem Felsenraum noch enger anfühlte! Jeder Kranich war ein Gebet.

Die Energie in diesem Raum und die Faszination, die leeren Gedanken und unbeschreiblichen Gefühle (damals und heute noch), die in mir geweckt, steigern jedes Mal in mir hoch wenn ich daran denke.

 

Tokio 2012

The university went from Monday to Saturday. I was going there by bike around 9 am and did not return until the evening. Sometimes it was tireing to be admired because of my light hair and eyes. Word spread around that a foreign student had arrived, so people from other classes came to see me. On Sundays, in the beginning, I was mostly alone looking for unknown places, exhibitions, temples, beautiful flowers or wondering around without any direction or goal. At that time I spent a lot of time on my own.
During my stay I often traveled to the town called Kamakura. I liked the tranquility of the gardens of the hidden temples, the changes in the vegetation during the seasons and the sound of the sea, which was reminding me of my hometown. To enjoy the peace, I often walked through the forest, where there were few tourists. Curiosity took me on unknown paths.
On one day, at some point I didn’t know where I was anymore and had neither internet nor a city map. The sun slowly made its way to the west. The fear of darkness and uncertainty started to increasing me. On my way back to the city, I saw a sign for a temple. As if this place had drawn me to itself and despite the nervousness I had to go in for a short time. A narrow tunnel led me into the site of the temple.
The rooms of the temple were carved into the rocks. It felt cool and humid. No one was there. I could hear the sound of the stream that was running through the rocks. As one of the rooms was open my coriusity grew, to get in I had to bend down. Garlands of thousands of cranes were hanging from the ceiling, stacked one inside the other. The garland hung heavy like colorful waterfalls, very close to each other, so that alone, in the rocky space felt even closer! Every crane was a prayer.
In this hectic city someone had invested so much time in doing this „senseless“ job. Tokyo was fascinating me with all its contrasts for my whole stay.

The energy in this room, the empty thoughts and indescribable feelings (then and still today) got awakened in me and they are rising in me every time I think about it.

 

 

Mit dem Beginn des Lockdown stand ich an dem Punkt mit einem neuen Projekt beginnen zu wollen. Die neuentstandene Situation entwickelte sich sehr unerwartet und hat am Anfang meine Gedanken und Überlegungen über künstlerisches Tun blockiert. Um mit dem Druck der Medien und das ständige Beisammensein unserer vierköpfigen Familie umgehen zu können, musste ich meine künstlerische Arbeit umdenken.

In diesen Stresssituationen kam ich in den Gedanken wieder zurück nach Japan. Inspiriert von der japanischen Legende Sembazuru und in Verbindung mit diesem persönlichen Erlebnissen in Kamakura und dem Lockdown in Wien, begann ich an meinem neuen Projekt zu nähen.

Die japanische Legende Sembazuru besagt, dass derjenige der 1000 Papierkraniche faltet, von den Göttern einen Wunsch erfüllt bekommen wird.

So fing ich an, an meinen Stoffmurmeln zu nähen und weil ich die Stoffmurmeln an die Legende binden wollte entschied ich mich für die Zahl 1000.

 

With the beginning of the lockdown I was at the point of wanting to start a new project. The new situation developed very unexpectedly and in the beginning it blocked my thoughts and considerations about artistic activities. In order to deal with the pressure of the media and the constant presence of our family of four, I had to rethink my artistic work.

In these stressful situations in my thoughts I came back to Japan. Inspired by the Japanese legend Sembazuru, in connection with this personal experience in Kamakura and the lockdown in Vienna, I started sewing on my new project.

The Japanese legend Sembazuru says, that the one who folds 1000 paper cranes, will get a wish from the Gods accomplished. So I started on sewing my cloth marbles. To bond the cloth marbles to the legend I decided to use the number of 1000.

 

 

Am Anfang rechnete ich wie viele Bällchen ich täglich produzieren muss um die Zahl 1000 zu erreichen, aber den Druck wollte ich eigentlich loslassen. Somit entschied ich mich für den Weg und nicht das Ziel. Und nähte an manchen Tagen 10, an anderen 4, 1 oder gar kein Bällchen. Im Kalender schrieb ich an Stelle der abgesagten Aufträgen jetzt die Anzahl an Bällchen die zu Stande kamen.

Ich nähte sie aus weiße Baumwollstoffresten, die ich zu Hause hatte und füllte sie am Anfang mit Watte, dann mit Stoffreste aus unterschiedlichen weißen Stoffen die ich in meiner Stoffsammlung hatte. Mit der Zeit fing ich an mit der Struktur unterschiedlicher Stoffe zu spielen, eine weitere Struktur in den Bällchen einzusticken und zwei weitere Größen zu schneiden.

 

In the beginning I calculated how many pieces I have to produce daily to reach the number of 1000. To enjoy the process and let the preassure go I chose for the way and not for the goal. On some days I sewed 10 marbles, on others 4, 1 or none. In the calendar I wrote down the number of succesfully done marbles instead of the jobs I needed to cancel.

I made them out of white fabric scraps I had at home and filled them, at the beginning with cotton, then with pieces of any white cloths I had in my fabric collection. Over time I started playing with the structure of the materials, stitching another structure of the marbles and cutting two more sizes.

 

 

Obwohl ich mir ein grobes Schnittmuster habe aus Papier ausgeschnitten habe, halte ich mich nicht so streng daran. Das dient mir eine ungefähre die Form beim Schneidern zu haben.
Deswegen, aber auch weil sich jeder Stoff anderes anfühlt, seine eigene Geschichte hat und weil jeder Stich der Nadel eine Handarbeit ein einzigartiges ist, bringt jedes Bällchen ein spezielles Erlebnis mit sich mit. Für mich sind die Stoffmurmeln mit Schneeflocken vergleichbar: alle gleich und jedes einzelne einzigartig, wenn man damit Achtsam umgeht.
Die Stoffmurmeln haben die Zahl 1000 noch nicht erreicht. Ich wünsche mir die Stoffbällchen während einer oder mehrere Ausstellungen zu Ende zu bringen.

Because every fabric feels different, has its own history and every stitch of the needle is handmade, every ball brings a special experience. For me, the fabric marbles are like snowflakes: all the same and each one unique, if you study them carefully.
With this project I want to find a balance between all the chaos in everyday life as well as bringing the mind and the body to rest.
The cloth marbles have not yet reached the number of 1000, but the countdown has already started.

 

 

Countdown: 527
(April 7, 2021)

 

Die Homepage der Künstlerin: http://www.katyadimova.com/